Vergaberecht: Aufhebung einer Ausschreibung ohne ausdrücklich geregelten Aufhebungsgrund

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Die VOB/A regelt in § 17 für den Unterschwellenbereich und in § 17 EG die Voraussetzungen, unter denen öffentliche Auftraggeber eine Ausschreibung aufheben können. Die Vergabekammer Süd-Bayern hatte sich in einem Nachprüfungsverfahren mit der Frage zu beschäftigen, ob die Aufhebung ohne ausdrücklich geregelten Aufhebungsgrund gegen das Vergaberecht verstößt.

Der öffentliche Auftraggeber schrieb den Neubau einer LWL-Kabelschutzrohranlage entlang einer Bundesautobahn aus. Auf diese Anlage fand § 77 c TKG Anwendung, der nach einer Novellierung ca. 9 Monate vor Beginn des Vergabeverfahrens den Betreibern öffentlicher Telekommunikationsnetze die Möglichkeit einräumt, die geplante Kabelschutzrohranlage mit zu benutzen. Vor Beginn des Vergabeverfahrens stand bereits fest, dass ein Provider die Kabelschutzrohranlage nutzen will und mit diesem Provider hatte der öffentliche Auftraggeber eine exklusive Beteiligung an dem Projekt vereinbart. Nach Beginn des Vergabeverfahrens meldete sich ein weiterer Provider, der gemäß § 77 c TKG die Mietbenutzung der geplanten Infrastruktur verlangte.

Der öffentliche Auftraggeber hob daraufhin das Verfahren nach § 17 EG VOB/A auf mit der Begründung, dass die Vergabeunterlagen grundsätzlich geändert werden müssten, weil § 77 c TKG eine Änderung erfahren habe, wodurch es gravierende Auswirkungen auf die Nutzung der Autobahnstraßen durch Provider gebe. Er kündigte an, erneut ein offenes Verfahren durchzuführen. Im Nachprüfungsverfahren ergänzte der öffentliche Auftraggeber seine Begründung dahingehend, dass durch den Antrag eines weiteren Providers nach § 77 c TKG eine Änderung der Vergabeunterlagen erforderlich werde, denn es müssten eine Vielzahl von Positionen des LV und der Mengen geändert werden, wodurch sich auch das Baukostenvolumen um ca. 10 % ändere. Es handele sich nach Auffassung des öffentlichen Auftraggebers nicht um eine Scheinaufhebung, wie die Bestbieterin (Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren) vermute. Daher sei der Aufhebungsgrund in § 17 EG Abs. 1 Nr. 2 VOB/A gegeben.

Die Antragstellerin nahm den Standpunkt ein, dass die Aufhebung nicht von § 17 EG VOB/A gedeckt sei, denn der öffentliche Auftraggeber habe bei Beginn des Vergabeverfahrens die Änderung des § 77 c TKG kennen müssen. Daher habe sie auch grundsätzlich davon ausgehen müssen, dass andere Provider von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Dies sei auch insofern für Planung und Bau der Kabelschutzrohranlage unproblematisch, weil eventuell erforderliche Änderungen über die Änderungsanordnung des Auftraggebers in §§ 1 Abs. 3, 2 Abs. 5 VOB/B umgesetzt werden könnten. Im Übrigen sei das Volumen der Baukostenänderung geringer als vom öffentlichen Auftraggeber behauptet. Die Antragstellerin verfolgt mit dem Nachprüfungsantrag das Ziel, die Aufhebungsentscheidung aufzuheben und den öffentlichen Auftraggeber zu verpflichten, das Verfahren wieder aufzunehmen und fortzuführen. Hilfsweise begehrt sie die Feststellung, dass die Aufhebung des Vergabeverfahrens rechtswidrig war und sie (die Antragstellerin) in ihren Bieterrechten verletzt wurde.

Die Vergabekammer Süd-Bayern weist den Hauptantrag zurück und stellt auf den Hilfsantrag hin fest, dass die Antragstellerin durch die Aufhebung der Ausschreibung in ihren Rechten verletzt ist.

Die Entscheidung wird damit begründet, dass ein „Anspruch“ auf Fortsetzung des Vergabeverfahrens nicht gegeben ist, da das Vergaberecht und das allgemeine Zivilrecht keine Pflicht des Auftraggebers zur Erteilung eines Zuschlags kennen. Der öffentliche Auftraggeber kann also nicht gezwungen werden, ein Verfahren fortzuführen und durch Zuschlag zu beenden, wenn er den ausgeschriebenen Auftrag so nicht mehr verwirklichen will. Die Vergabekammer stellt fest, dass das auch dann gilt, wenn der Auftraggeber keinen (ausdrücklich geregelten) Grund zur rechtmäßigen Aufhebung der Ausschreibung hat. Demzufolge müssen Bieter auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die Aufhebung des Vergabeverfahrens (mit engen Ausnahmen) nicht nur dann hinnehmen, wenn sie von einer der einschlägigen Bestimmungen zur Aufhebung der Ausschreibung gedeckt ist. Für den vorliegenden Fall stellt die Vergabekammer fest, dass ein Aufhebungsgrund nicht vorlag. Eine Aufhebung nach § 17 EG Abs. 1 Nr. 2 VOB/A erfordert, dass eine Auftragsvergabe auf der Grundlage der bisherigen Vergabeunterlagen für den Auftraggeber oder dem Bieter unzumutbar geworden ist. Die Änderungsumstände müssen so erheblich sein, dass eine Anpassung der Angebote nicht in Betracht kommt. Zudem dürfen die Gründe, die zu einer Aufhebung führen sollen, nicht der Vergabestelle zuzurechnen sein. Dieser Punkt war für die Vergabekammer ausschlaggebend: Die Vergabestelle hatte das Projekt mit dem ursprünglichen Provider exklusiv konzipiert. Diese Konzeption ließ sich nicht mehr umsetzen, nachdem ein weiterer Provider die Mitbenutzung verlangte. Dem Auftraggeber hätte bei Konzeption der Ausschreibung klar sein müssen, dass die exklusive Beteiligung eines Providers nicht durchzuhalten ist, wenn ein weiterer Provider berechtigt die Mitbenutzung der Infrastruktur verlangt. Die beabsichtigte Aufhebung der Ausschreibung ist also letztlich Folge der Nichtdurchführbarkeit der ursprünglich geplanten exklusiven Beteiligung eines Providers. Diese Konzeption war aber mit dem erheblichen und schließlich auch realisierten Risiko behaftet, dass ein weiterer Provider die Mitbenutzung nach § 77 c TKG verlangt.

Somit stellt die Vergabekammer folgerichtig fest, dass der Aufhebungsgrund in § 17 EG Abs. 1 Nr. 2 VOB/A nicht erfüllt war und die Aufhebung des Vergabeverfahrens damit rechtswidrig erfolgt ist und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt hat.

Die Entscheidung verdeutlicht, dass der Bieter nur selten die Fortsetzung eines Vergabeverfahrens verlangen kann. Dies ist in dem Ausnahmefall möglich, dass die Vergabestelle willkürlich oder rechtsmissbräuchlich handelt. Das konnte die Vergabekammer hier aber nicht erkennen, denn durch die absehbaren Änderungen des Leistungssolls war die Entscheidung des Auftraggebers, das Verfahren nicht mit einem Leistungssoll fortzuführen, bei dem erhebliche Änderungen schon abzusehen sind, sondern den Auftrag anzupassen und das Vergabeverfahren auf dieser Basis neu durchzuführen, jedenfalls nicht willkürlich. Die Entscheidung verdeutlicht auch, dass Auftraggeber nicht verpflichtet sind, das Vergabeverfahren durch Zuschlag zu beenden und zwar regelmäßig auch dann, wenn kein Grund für eine Aufhebung vorliegt. Potentiell erfolgreichen Bietern bleibt dann nur der Anspruch auf Schadenersatz.

Vergabekammer Süd-Bayern, Beschluss vom 20.07.2015, Az.: Z3-3-3194-1-17-03/15

RA Daniel Wegener
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Wollmann & Partner Rechtsanwälte, Berlin
wegener@wollmann.de